Ruhe sollte etwas ganz Natürliches sein. Unser Körper verlangt danach, unser Geist braucht sie, und unsere Kultur sagt uns ständig, wir sollten „auf uns selbst hören“ und „eine Pause machen“. Doch für manche von uns ist Ruhe kompliziert. Sie ist nicht nur eine Pause zwischen produktiven Momenten – sie ist ein stiller Kampf mit dem Teil von uns, der darauf konditioniert ist, immer etwas zu tun, sich immer zu beweisen, immer auf der Hut zu sein. Funktionieren und immer etwas tun, um das Gefühl der Kontrolle aufrechtzuerhalten.
Wenn du Erfahrungen gemacht hast, die dir gezeigt haben, dass Sicherheit durch Kontrolle entsteht, kann sich Ruhe gefährlich anfühlen. Dein Nervensystem hat vielleicht gelernt, dass Stille dann einsetzt, wenn Schlimmes passiert, oder dass der einzige Weg, Liebe, Stabilität oder Überleben zu verdienen, darin besteht, weiter produktiv zu sein, weiter vorwegzunehmen und weiterzumachen. Sich hinzulegen und einfach nichts zu tun, mag für andere einfach erscheinen, aber bei dir kann es Unbehagen, Schuldgefühle oder sogar Angst auslösen.
Es geht hier jedoch nicht nur um Beschäftigtsein. Es geht darum, was Ruhe bedeutet. Für jemanden, der von einem Trauma geprägt ist, kann sich langsamer werden anfühlen, als würde man den Wachturm aufgeben – als würde das Nachlassen der Wachsamkeit, auch nur für einen kleinen Moment, die Tür zu etwas Schmerzhaftem öffnen. Das ist keine Faulheit und es geht auch nicht darum, nicht zu „wissen“, wie man sich entspannt. Es ist ein tief verwurzeltes Überlebensmuster.
Selbst wenn du es schaffst, zur Ruhe zu kommen, kann sich unterschwellig ein Gefühl der Unruhe breitmachen. Vielleicht liegst du auf der Couch, aber deine Gedanken kreisen um all die Dinge, die du eigentlich tun solltest. Vielleicht schämst du dich, weil du nicht produktiv bist, als würdest du in Rückstand geraten oder Zeit schlicht verschwenden. Die endlich gefundene Ruhe wird von einem Sturm der Gedanken überlagert, und anstatt dich zu erholen, hinterlässt er Angespanntheit und Frustration.
Als Trauma-Überlebende:r zu lernen, sich Ruhe zu gönnen, bedeutet nicht, plötzlich kleine Nickerchen oder Wellness-Tage zu genießen. Es geht darum, dem Körper beizubringen, dass er jetzt sicher ist und nichts Schlimmes passieren kann, wenn man nicht aktiv nach Gefahren Ausschau hält oder seinen Wert durch Arbeit beweist. Es ist ein langsames Umlernen des Nervensystems, so als würde man ein verängstigtes Tier dazu bringen, ins Sonnenlicht zu treten.
An manchen Tagen bedeutet Ruhe, sich hinzulegen und das alte Schuldgefühl hochkommen zu spüren – aber eben trotzdem dort zu bleiben. An anderen Tagen kann es bedeuten, eine sanftere Form des „Tuns“ zu wählen, wie zum Beispiel Tee zu kochen, etwas Beruhigendes anzuschauen oder einen Spaziergang ohne Ziel zu machen. Ruhe muss nicht gleich nach völliger Stille aussehen; sie muss sich nur sicher genug anfühlen, damit dein Körper beginnt, dir zu vertrauen.
Die Wahrheit ist: Ruhe ist nicht immer sanft oder einfach. Für viele von uns ist sie ein radikaler Akt der Selbstheilung. Sie bedeutet, die Geschichte neu zu schreiben, die besagt, dass unser Wert nur an dem gemessen wird, was wir leisten. Sie lässt uns glauben, dass Sicherheit in der Stille liegen kann. Und mit der Zeit fühlen sich diese Momente – die, in denen man still sitzt und spürt, wie der eigene Körper weicher wird – nicht mehr wie eine Bedrohung an. Sie beginnen, sich wie Zuhause anzufühlen.
xx baj.