Mir eine Auszeit am Ende eines emotional, körperlich und businessmäßig intensiven Jahres zu nehmen, hat mich perfekt darauf vorbereitet, was jetzt alles kommt. Insbesondere für meine psychische Gesundheit war es so so wichtig, um nicht wieder in alt bekannte Muster zu verfallen. Ich bin ein Mensch der grundsätzlich dazu neigt, sich zu überarbeiten, Pausen zu vergessen oder sich exzessiv abzulenken, um bestimmte Emotionen oder Situationen nicht bewältigen zu müssen. Remote-Arbeit und Reisen waren die letzten Jahre nie wirklich Urlaubszeit. Da war Ich, mein Zeitplan, meine To-Do-Liste und mein Kopf der nicht aufgehört hat zu rattern. Ein garantiertes Rezept um auszubrennen. Das ist eins meiner sehr alten Muster und immer noch schwer zu durchbrechen.
Wir alle wissen, wie intensiv gerade das Jahresende sein kann, mit all dem Weihnachtswahnsinn, dem Erledigen alter Aufgaben, um sie nicht mit ins neue Jahr zu nehmen, und dem Nachdenken über alles, was im Laufe des Jahres passiert ist, sowie dem ständigen Funktionieren während des ganzen Jahres.
Letztes Jahr habe ich beschlossen es dieses Mal anders zu beenden. Ich beschloss, nicht Teil dieser absoluten und sich widerholenden Craziness zu sein. Ungeachtet dessen, was andere Leute vielleicht erwartet haben (oder zumindest dachte ich, dass sie es erwartet haben). Ich hab dieses Mal mich und meine psychische Gesundheit an erste Stelle gestellt und mich auf den Weg nach Indien gemacht. Ursprünglich wollte ich nur auf die Hochzeit einer Freundin, beschloss dann aber, länger zu bleiben, zu arbeiten, zu surfen und mir meinen Traum zu erfüllen, endlich in ein Ashram zu gehen. Insbesondere letzteres hab ich mir schon lange gewünscht und vor langer Zeit auf mein Vision Board gepackt (ja, ich habe eine physische Vision Board an meiner Wand, auf der (fast) alle meine Träume und Wünsche stehen).
Meine Reise mit einem Aufenthalt in einem Ashram zu beenden, war für mich etwas ganz Besonderes und kam zum absolut richtigen Zeitpunkt. Viele haben wahrscheinlich keine Ahnung, was genau dort passiert. Ich hatte keine sch*** Ahnung. Ich wusste nur irgendwo ganz tief in mir, dass ich das machen wollte. Für mich war es eine Erfahrung, durch die ich mich wieder auf das Wesentliche konzentrieren konnte. Ich wohnte in einem Mädchenwohnheim mit 32 Betten; alles war sehr simple. Wir folgten alle dem gleichen Zeitplan. Superfrühes Aufstehen, Meditation, Chanten, Tee und Plaudern, 3-4 Stunden Yoga am Tag, zweimal täglich einfache, aber leckere Reisgerichte, Vorträge zu verschiedenen Themen und Karma-Yoga. Auch wenn sich das erst einmal nach einem vollen Zeitplan anhört, fühlte es sich nicht so an. Das war vielmehr die perfekte Struktur, die ich so sehr brauchte. Ich legte mein Telefon und meinen Laptop beiseite, konzentrierte mich auf die Erfahrung und konnte endlich meinen Geist völlig abschalten und entspannen.
Was mir an Indien und vor allem auch am Ashram aber wohl am besten gefallen hat, war der verfolgte ganzheitliche Ansatz der Inder in Bezug auf Körper, Geist und Seele. Diese Erfahrung nährte alle drei und war der beste Reminder, dass eins davon nicht auch ohne die anderen gesund bleiben kann. Klar, das ist eigentlich echt keine Neuigkeit, aber für mich war es immer schwierig, alle drei wirklich in Verbindung zu bringen.
Therapien in unserer westlichen Welt haben mit einem solchen ganzheitlichen Ansatz recht wenig zu tun. Vielmehr schaffen die meisten davon schlicht ein Bewusstsein vor allem auf der kognitiven Ebene. Du redest, versuchst dich zu erinnern und lernst neue Verhaltensmuster. Und wenn du Glück hat und es dir leisten kannst, hast du vielleicht noch Zugang zu anderen Therapieformen, wie z.B. einer Körpertherapie, bei der du u.a. lernst, Emotionen tatsächlich über den Körper zu spüren, mit ihnen umzugehen und das Unterbewusstsein zu heilen. Aber keine einzige der Therapien wird je alle notnwendigen Ebenen abdecken. Zumindest nicht die, die von der Krankenkasse übernommen werden. Niemand wird dir einen wirklich ganzheitlichen Heilungsplan aufstellen. Du musst schon selbst wählen (wenn du Glück hast).
Eines scheint die westliche Welt dabei völlig vergessen zu haben. Wenn eines der drei Dinge aus dem Gleichgewicht gerät, es auch es die anderen vergiftet. Versteh mich nicht falsch: Therapie ist gut und hilft sehr. Aber es hört eben da nicht auf, denn alles ist miteinander verbunden. Wenn der Geist krank ist, wird der Körper höchstwahrscheinlich auch krank oder umgekehrt. Wann immer ich depressive Episoden hatte oder mich mal wieder von irgendwelchen Emotionen abgelenkt habe, war jeder einzelne Muskel in meinem Körper so angespannt, ich hatte Magenprobleme, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, mein Immunsystem hat völlig gesponnen usw. Ich könnte noch mehr aufzählen.
Und genau das ist mir in letztes Jahr wieder passiert. Ich habe so sehr versucht, mich um meinen Geist und meine Seele zu kümmern, aber ich hab dabei völlig meinen Körper vergessen. Mein Körper wurde im Laufe der Monate immer angespannter und ich hatte praktisch jeden Tag Schmerzen, bis zu dem Punkt, an dem ich mich nicht mehr bewegen konnte. Einen Monat vor meiner Abreise nach Indien, wo ich surfen, mich auf Yoga und Meditation konzentrieren wollte, schien mein Plan dahin zu sein. Ich war so traurig. Aber mir war auch bewusst, dass ich einmal mehr die Anzeichen, eine Pause zu machen, völlig ignoriert hatte. Alles, was mein Geist und meine Seele nicht verarbeiten oder loslassen konnten, speicherte ich in meinem Körper, was mich immer kränker machte.
Mit jeder Menge Physiotherapie gelang es mir, mich wieder einigermaßen zu bewegen, auch wenn der Schmerz noch immer mein ständiger Begleiter war. Ich schaffte es, wieder auf mein Surfbrett zu steigen und machte auch etwas Yoga. Aber nie ganz ohne Schmerzen. Selbst einfaches Sitzen war unfassbar unangenehm. Mein Körper war so steif und jeder Muskel angespannt. Ein bisschen fühlte es sich an, als würde ich so sehr versuchen, alles zusammen zu halten, weil ich Angst hatte, wieder zusammenzubrechen. Nach hohen Stress-Episoden ist das Runterkommen so beängstigend, weil man nie weiß, wie hart man fällt.
Ich brauchte dringend eine Pause! Eine Pause nach dem Launch, nach all dem persönlichen Mist, der im Laufe des Jahres passiert ist, und nach so viel Druck, den ich mir selbst machte, nonstop. Mein Körper hat mir gezeigt, was mein Verstand schon lange wusste. Ich habe mich nicht gut genug um mich gekümmert, und jetzt zwang er mich schmerzlich dazu, endlich aufzuhören.
Teil meiner mentalen Nachhaltigkeitsroutine war und ist nicht nur Therapie, sondern auch meine spirituelle Routine einschließlich Meditation und das Schreiben meines Tagesbuchs. Ich kam schon sehr früh durch meinen Vater mit Meditation in Berührung, hab das alles aber nie wirklich verstanden oder eben praktiziert. Das änderte sich erst viele Jahre später. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wann ich damit angefangen habe, aber ich weiß, dass ich, je schlechter es mir ging, immer sehnlicher nach etwas gesucht habe, um mich endlich besser zu fühlen. Ich probierte verschiedene Arten von Meditationen aus, von geführten bis zu stillen. Ich wollte, dass meine Gedanken und mein Verstand endlich einfach still sind, aber sie wurden immer lauter und lauter. Gepaart mit meiner ständigen Unruhe war das ein absolutes Rezept für eine Katastrophe. Meine Gedanken kreisten um meine to-do Liste, um vergangene und zukünftige Situationen, um meinen Essensplan, im Grunde um millionen Situationen. Je mehr ich mich unter Druck gesetzt habe, desto weniger funktionierte das alles für mich. Ich genoss das Ganze nicht einmal mehr, sondern sah es als eine tägliche, zusätzliche Aufgabe, die ich von meiner Liste streichen musste. Ich brauchte Freiraum und eine Pause, um den Druck abzubauen und mich daran zu erinnern, was der Sinn meiner ganzen Routine ist. Und das war ganz sicher nicht, eine zusätzliche Aufgabe auf meiner Liste zu haben.
Wie bereits erwähnt, hatte ich das Glück, meine Pause in einem Ashram verbringen zu dürfen. Neben dem oben erwähnten Tagesablauf war dies die beste Erinnerung daran, neue und gesunde Routinen zu schaffen. Einige der Routinen habe ich über die Jahre aufgegeben, je beschäftigter und gestresster ich war. Wenn wir gestresst und beschäftigt sind, neigen wir nunmal dazu, unsere Routinen und Selbstfürsorge als erstes zu streichen, stattdessen daddeln wir pausenlos auf unserem Handy rum oder springen aus dem Bett direkt an den Schreibtisch, obwohl wir gerade in diesen Zeiten gesunde Routinen am meisten brauchen. Es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass man sich täglich etwas Zeit zum Meditieren (oder welche Selfcare-Routine auch immer) nehmen soll. Und wenn man das Gefühl hat keine Zeit zu haben, soll man sich die doppelte Zeit nehmen.
Ich begann im Ashram meinen Körper langsam wieder zu dehnen und meine verspannten Muskeln und meinen Geist zu entlasten. Ich begann wieder richtig zu meditieren und lernte einige neue Atemtechniken, die alles für mich veränderten.
Klar war ich besorgt, ob ich meine Routine beibehalten kann, wenn ich wieder in Berlin bin. Es ist so leicht, in alte, ungesunde Gewohnheiten zurückzufallen, sobald der Alltag einen wieder voll im Griff hat.
Aber ich habe es geschafft (bis jetzt) und es macht einen so gravierenden Unterschied. Ich beginne meinen Tag weg von meinem Handy, mit Zeit für mich, Meditation, Atemübungen und schreibe jeden Tag mein verdammtes Tagebuch. Natürlich wache ich an vielen Tagen immer noch super unruhig auf und es gibt Tage, an denen ich mich zu all dem zwingen muss. Aber jedes Mal, wenn ich das tue, ist die Nervosität weg, mein Geist ist ruhiger, ich gehe anders mit meinen täglichen Aufgaben um und fühle mich stark genug, um alles zu bewältigen, was an diesem Tag auf mich wartet. Diese 2 Stunden am Morgen sind meine Selbstfürsorgezeit, mein Rezept, um mich geerdet zu fühlen und meine Garantie nicht komplett durchzudrehen.
Wenn du das liest, gibt es dir vielleicht auch einen kleinen Schucker in die richtige Richtung, dir mehr Zeit für dich selbst zu nehmen und neuen oder alten Routinen wieder zu folgen; etwas Me-Time am Morgen oder am Abend, wenn die Welt ganz still ist, und Struktur zu schaffen. Es gibt kein richtig oder falsch oder nur eine Art und Weise, wie du meditierst oder deine persönliche tägliche (spirituelle) Routine durchführst. Alles, was Freude, Frieden, Stille bringt oder ein Lächeln auf dein Gesicht zaubert, ist der absolut richtige Weg. Alles andere kann und muss warten.
xx baj.